Rede des Fraktionsvorsitzenden Felix Semper zum Doppelhaushalt 2023/2024
Sehr geehrte Frau Ratsvorsitzende,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
der heutige 22. Dezember 2022 ist ein denkwürdiger Tag für die Landeshauptstadt und dies aus gleich drei Gründen. Erstens wird heute mit den Stimmen der Ratsmehrheit der mit jeweils rund drei Milliarden Euro für die Jahre 2023 und 2024 größte Haushalt in der Geschichte Hannovers verabschiedet. Zum Zweiten erreicht das jeweilige Jahresdefizit mit rund 500 Millionen Euro einen dramatischen Höchststand. Und in der Folge, damit bin ich bei drittens, steigt der Gesamtschuldenstand unserer Stadt auf sagenhafte rund drei Milliarden Euro! Oder, um es anders auszudrücken: Künftig wird jeder Einwohner und jede Einwohnerin Hannovers rein rechnerisch mit über 5000,- Euro verschuldet sein. Zum Vergleich: In Niedersachsen lag die Pro-Kopf-Verschuldung bezogen auf die kommunalen Schulden im Jahr 2021 bei „nur“ 1.589,- Euro. Der heutige Tag wird kurz- und mittelfristig also harte Einschnitte erforderlich machen.
Seitens der Stadtspitze und der Ratsmehrheit wird zur Erklärung für diesen Umstand gerne auf die aktuellen Krisen verwiesen und die mangelnde Prinzipientreue von Bund und Land beklagt. Und ja, es ist richtig, wir befinden uns in einer Phase multipler Krisen. Erst die Pandemie und nun die Folgen des verbrecherischen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine haben nicht nur die Menschen in unserem Land vor nie geahnte Herausforderungen gestellt, sie fordern auch die öffentliche Hand bis an ihre Belastungsgrenze.
Ebenso ist richtig, dass Bund und Land das Prinzip der Konnexität, nachdem salopp derjenige die Musik zu bezahlen hat, der sie bestellt, teilweise wenig vorbildlich beherzigen. Was alle Kommunen zurecht beklagen. Das ist aber nur der eine Teil der Wahrheit.
Der andere Teil verweist auf die Verantwortung der Stadtspitze und der sie tragenden Ratsmehrheit – dieser und nahezu all ihrer Vorgänger. Er handelt davon, dass trotz geradezu sprudelnder Steuereinnahmen keine hinreichende Konsolidierung stattgefunden hat, keine notwendigen Reformen angegangen und notwendige Investitionen verschleppt wurden. Die Gründe hierfür sind in der Verwaltungsführung, aber vor allem in der Politik der Ratsmehrheit zu suchen, die durch ihre Prioritätensetzung immer neue und vor allem freiwillige Aufgaben kreiert hat. Die Folge ist, dass wir ein strukturelles Defizit wie eine Bugwelle vor uns herschieben, das sich mit dem Einsparvolumen des vorliegenden Haushaltssicherungskonzepts ziemlich genau auf 121 Millionen Euro beziffern lässt. Nicht umsonst handelt es sich auch bereits um das elfte Haushaltssicherungskonzept in 28 Jahren; im Schnitt bedeutet dies alle zweieinhalb Jahre ein neues Haushaltssicherungskonzept. Setzen wir diesen Trend fort, erwartet uns das künftig wohl mit jedem neuen Doppelhaushalt.
Auch das Personal ächzt unter dem immer größer werdenden Aufgabenberg bei gleichzeitig zunehmendem Durchschnittsalter und ebenfalls zunehmenden Schwierigkeiten bei der Neu- und Nachbesetzung in nahezu allen Bereichen. Stichwort: Fachkräftemangel. Dies – auch das muss gesagt werden – vor dem Hintergrund, dass wir inzwischen jeden vierten Euro für unser bislang noch motiviertes Personal ausgeben und der Gesamtaufwand mit rund 700 Millionen Euro den mit Abstand größten Einzelposten darstellt. Zurückzuführen ist dies auch auf den Umstand, dass in Hannover – trotz der Auslagerung von Aufgaben in die Region seit 2001 – auf rund 60 Einwohner ein Verwaltungsmitarbeiter kommt. Damit rangiert die Landeshauptstadt im Vergleich der 20 größten deutschen Städte beim Verhältnis Einwohner zu Mitarbeiter im oberen Drittel. Dies zeigt, wie wichtig es ist, Strukturen und Arbeitsweisen zu verbessern, um mit perspektivisch weniger Personal effektiver arbeiten zu können.
Bei den Investitionen erleben wir ebenfalls Rekorde. Mit einem Anwachsen der investiven Verschuldung im Kernhaushalt um 1,1 Milliarden Euro in 2023 beziehungsweise 1,8 Milliarden Euro in 2024 erreichen wir bisher ungeahnte Dimensionen. Dies ist in Zeiten steigender Zinsen nicht ohne Risiko. Der immense Nachholbedarf bei Digitalisierung, Infrastruktur und Klimawandel gepaart mit den Herausforderungen des demografischen Wandels, hohen Zinsen, einer Inflation und der Gefahr einer Rezession ergeben eine hochbrisante Mischung. Zinsen und Tilgung beschränken nicht nur die Handlungsspielräume der Kommunalpolitik jetzt und noch auf Jahre hinaus. Sie nehmen künftigen Generationen auch jede politische Gestaltungsmöglichkeit. Das ist aus unserer Sicht ein Eingriff in jene ‚intertemporale Freiheit‘, die der Kämmerer bei der Haushaltseinbringung unter Rückgriff auf das Bundesverfassungsgericht so schön ins Feld führte.
Die Zeche für das Missmanagement der zurückliegenden Jahre sollen nun also einmal mehr die in Krisenzeiten ohnehin schon schwer belasteten Menschen in Hannover zahlen – das ist zumindest mit uns nicht zu machen, meine Damen und Herren!
Die geplante Grundsteuererhöhung und die als ‚Parkraumbewirtschaftung‘ verharmloste, saftige Erhöhung der Parkgebühren in nahezu allen Bereichen der Stadt, gehen voll zu Lasten der Menschen in Hannover. Man mag sich ja wünschen, dass der motorisierte Individualverkehr drastisch abnimmt. Die Verkaufszahlen der Automobilindustrie und die Kraftfahrzeugzulassungen auch in Hannover sprechen aber eine deutlich andere Sprache – allen dirigistischen und bevormundenden Bemühungen von Grün-Rot zum Trotz. Tatsache ist: Die Elektromobilität macht die individuelle Mobilität für viele Menschen wieder interessant.
Der Eigenbeitrag der Verwaltung, die durch interne Maßnahmen 42 Millionen Euro einsparen will, ist aus unserer Sicht viel zu niedrig veranschlagt. Da muss in Zeiten von Digitalisierung, modernen Arbeitsformen und nach einem Haushaltssicherungskonzept X mehr gehen. Eine sprichwörtliche typisch hannöversche Zurückhaltung, die hier völlig Fehl am Platz ist.
Auch, dass das Ehrenamt im Bereich der Stadtbezirksräte geschwächt werden soll, die Stadtspitze aber einen eigenen Sparbeitrag – beispielsweise durch Streichung eines Dezernates – schuldig bleibt, ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu vermitteln.
Unser vorgelegter Änderungsantrag zum HSK setzt folgerichtig andere Akzente. So wollen wir neben dem Verzicht auf die Grundsteuererhöhung alle haushaltsrechtlichen Instrumente nutzen, um die gesamtstädtischen Aufwendungen, welche für die Umsetzung freiwilliger Aufgaben veranschlagt sind, bei 90% einzufrieren – im Klartext also eine Haushaltssperre. Dies ab sofort und wenn nötig flankiert von allen anderen haushaltspolitischen Maßnahmen, wie haushaltswirtschaftliche Sperren und Sperrvermerke. Es ist unverantwortlich, wie vn Grün-Rot gefordert zu jedem Einsparvorschlag einen Gesprächskreis oder runden Tisch gründen. Die Uhr ist inzwischen 5 nach 12. Die dramatische Neuverschuldung macht doch deutlich, dass wir schnell die Notbremse ziehen müssen.
Lassen Sie mich bei der Gelegenheit gleich noch mit einem gerne verbreiteten, weil so schön vereinfachendem Missverständnis aufräumen: Es geht mitnichten um einen Kahlschlag bei den Zuwendungen. Es geht um die freiwilligen Ausgaben als Ganzes. Zur Gesamtschau gehört eben aber auch die jeweils vorgehaltene Verwaltungsstruktur. Wenn hier die erforderlichen Einsparungen erbracht werden, bedarf es unserer Ansicht nach auch keiner Kürzung der Zuwendungen.
Darüber müssen Doppelstrukturen schnell abgebaut werden, wie zum Beispiel die Klimaschutzleitstelle der Region und der Stadt sowie die Klimaschutzagentur Region Hannover gGmbH, die Wirtschaftsförderung der Region und der Stadt sowie hannoverimpuls GmbH, die alle ähnliche Aufgaben wahrnehmen. Ein dritter wesentlicher Punkt ist die Überprüfung der Dezernatsstrukturen auf sinnvolle Synergieeffekte mit dem Ziel der Einsparung eines Dezernates.
Keine Mehrbelastung der Menschen in Hannover, sondern wirkliche Verantwortung übernehmen für das eigene jahrzehntelange Missmanagement, darum geht es uns. Und diese Verantwortung, meine Damen und Herren der Koalition, kann auch nicht darin bestehen, die sattsam bekannte Klientelpolitik fortzusetzen, wie es nun durch ihre wenig überzeugenden Änderungsanträge zum Haushaltssicherungskonzept geschehen soll. Dafür soll nun – quasi als Gegenfinanzierung – den Bürgerinnen und Bürgern durch neue Blitzer und drastischere Verfolgung von Verkehrssündern ein weiteres Mal in die Tasche gegriffen werden. Dies dann auch noch als wichtigen Beitrag zu einer sinnvollen Verkehrspolitik zu deklarieren, dazu bedarf es schon einer Menge grüner Fantasie.
Sicher müssen und sollen Regelverstöße geahndet werden. Ich wünschte mir dieses beherzte Vorgehen nur auch manchmal in anderen Bereichen. Aber da passt es aus ideologischen Gründen eben weniger ins Konzept. Als Beispiele will ich nur die späte Einführung von Waffenverbotszonen nennen, die der Ordnungsdezernent noch vor Monaten für weder „notwendig noch sinnhaft“ hielt, die nun aber als notwendige Maßnahme etikettiert werden. Oder die stärkere Ahndung achtlos entsorgter Zigarettenkippen. Von uns schon einmal noch in der letzten Wahlperiode gefordert, hat die Koalition dies nun auch endlich als sinnvoll erkannt. Beim Umgang mit den wild geparkten E-Scooter-Flotten fehlt es nach fast einem Dreivierteljahr immer noch an einem tragfähigen Konzept.
Im eigentlichen Doppelhaushalt 2023/2024 haben wir uns auf maßvolle 52 Anträge in drei Schwerpunktgebieten beschränkt: Bildung, Digitalisierung sowie Sicherheit und Ordnung. Drei Bereiche, die wir mit Blick auf die Zukunft unserer Stadt und unseres Zusammenlebens auch in schwierigen Zeiten weiter entwickeln müssen.
Für uns heißt das: Bildung ermöglicht Zukunftschancen und ist eine der wichtigsten Ressourcen unseres Landes. Wir wollen, dass alle Schulen schnell aus der Kreidezeit kommen und digitales Lernen zu einem Aushängeschild unserer Stadt wird.
Beim Thema Digitalisierung geht es uns, neben dem Vorantreiben derselben an Schulen, vor allem darum, die Vorzüge der Digitalisierung an ‚best-practice-Beispielen‘ für die Menschen erfahrbar zu machen. Hierzu soll beispielsweise ein ‚showroom‘ in zentraler Lage dienen, in dem alle bereits verfügbaren Anwendungen, sowohl der Verwaltung als auch städtischer Unternehmen, sichtbar und erlebbar gemacht werden. Es soll darum gehen, Ängste abzubauen.
Im Bereich Sicherheit und Ordnung wollen wir eine ernsthafte Prüfung punktueller Videoüberwachung, die Aufstockung und bessere Ausstattung des städtischen Ordnungsdienstes sowie die frühzeitige Einbindung polizeilicher Expertise bei städtebaulichen Maßnahmen. Gerade der letzte Punkt wurde in der Vergangenheit oft vernachlässigt, kann aber wertvolle Hinweise geben, um das Sicherheitsempfinden der Menschen schon frühzeitig mitzudenken. Weiterhin eine falsch verstandene Toleranz zu üben, für die weite Teile der Bevölkerung schon lange kein Verständnis mehr haben, ist aus unserer Sicht jedenfalls keine Option. Beim Thema ‚Waffenverbotszonen‘ sind sie ja – ich sagte es bereits – spät, aber immerhin auch endlich aufgewacht.
In vielen anderen Bereichen haben wir uns auf Haushaltsbegleitanträge beschränkt, die auf eine langfristige Verbesserung abzielen. Vor allem wo es um Fragen des Zusammenlebens geht, haben wir aber auch einige unmittelbar haushaltswirksame Anträge in die Beratungen eingebracht. Lassen Sie mich exemplarisch die Erhöhung der Zuwendungen für den andersraum e.V. oder die Siegmund Seligmann Gesellschaft nennen.
Was nach meiner festen Überzeugung die große Mehrheit aller Menschen in Hannover eint ist, dass sie das freie, offene und moderne Leben der Großstadt schätzt, dabei aber weiß, dass diesem ein Sinn für die Einhaltung gesellschaftlicher Regeln nicht entgegensteht, sondern grundlegend für das Zusammenleben und den Zusammenhalt ist. Dass Veränderungen nötig sind und man auch als Stadt den Gürtel enger schnallen muss, ist vielleicht bei vielen außerhalb schon mehr angekommen als bei so manchem innerhalb der politischen Blase.
Was die Menschen aber ganz sicher nicht schätzen, ist eine ideologisch begründete Bevormundung und eine damit einhergehende Beschneidung von Individualrechten – gleich welcher Couleur. Die Klientelpolitik der letzten Jahrzehnte muss ein Ende haben. Ich fordere Sie auf: Kommen Sie raus aus Ihrem grünen Elfenbeinturm. Tun Sie mehr für die Mitte der Gesellschaft.
Für die Mitte der Gesellschaft, die unaufgeregt nach vernünftigen, pragmatischen und gemeinsamen Lösungen für die Zukunft unserer Stadt sucht. Für die Mitte der Gesellschaft, die gerne Fahrrad fährt, sich auch nach bessere Fahrradwegen sehnt, aus diversen Gründen aber darauf angewiesen ist, auch das Auto zu benutzen bzw. die Freiheit behalten möchte, selbst zu entscheiden.
Unser Land und unsere Stadt stehen vor großen Herausforderungen. Zeigen Sie endlich den Mut und den Willen zu Reformen! Einfach nur Geld ausgeben kann jeder. Und es schadet der Zukunft unserer Kinder.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
- Es gilt das gesprochene Wort. -